Archiv 2015 „Weitergeleitet ins Netz“
Pressemitteilung
Journalismus 3.0: digital, datenbasiert, vernetzt und interaktiv
lpr-forum-medienzukunft 2015 zum Thema „Weitergeleitet ins Netz“ am 12. März in Frankfurt
Frankfurt am Main, 12. März 2015 Das Internet bietet dem Journalismus nicht nur neue Plattformen, sondern verändert auch die Art von Recherche und Reportage, von Präsentation und Publikation. Big Data ermöglicht neue Quellen, bei deren Auswertung Computer-Algorithmen helfen können. Multimediales Storytelling verbindet Darstellungsformen, die früher jeweils unterschiedlichen Medien vorbehalten waren (Print, Audio, Video). Schließlich ändert sich auch die Rolle des Publikums. So machen Vernetzung und interaktive Anwendungen aus traditionell eher passiven Rezipienten aktive Kommunikatoren. Beim lpr-forum-medienzukunft zum Thema „Weitergeleitet ins Netz – Über Journalismus, alte Medien und digitale Moderne“ erkundeten Experten vor etwa 240 Gästen am 12. März in Frankfurt das Neuland des digitalen Journalismus 3.0.
Der Direktor der LPR Hessen, Joachim Becker, machte gleich bei seiner Begrüßung der Teilnehmer darauf aufmerksam, dass sich mit dem Internet der Journalismus fundamental wandelt. Digitale Werkzeuge formen sowohl die Suche und Auswahl nach Fakten um als auch deren Aufbereitung. „Das verlangt von Journalisten nicht nur die Affinität zur Technik, sondern setzt Kenntnisse und Fertigkeiten voraus, die traditionell im Journalismus wenig gefragt waren, aber nun zur Voraussetzung werden“, sagte Becker.
Leif Kramp, Forschungskoordinator des Zentrums für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI) der Universität Bremen, berichtete, noch fänden sich in den meisten Verlagen „große Beharrungskräfte“ und es fehle an der Antizipation neuer Berufsbilder für den digitalen Journalismus. Zwar ändere das Internet mit neuen Endgeräten die Art, in der Menschen Medien nutzen, die klassischen Medienbetriebe aber reagierten darauf nur sehr zögerlich.
Der Chef der Hessischen Staatskanzlei, Axel Wintermeyer, erinnerte in seinem Grußwort daran, dass die Gesetze der Aufmerksamkeitsökonomie auch die Qualität des Journalismus modifizieren. Wintermeyer sprach von ungefilterten Formen von Öffentlichkeit und verwies darauf, das Gebot der Schnelligkeit könne im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie zu Falschmeldungen führen. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen forderte, in Zeiten, in denen jeder Nutzer via Internet selbst zum Sender werden könne, müsse Qualitätsjournalismus zum „Element der Allgemeinbildung“ werden.
Eine ähnliche Idee verfolgt auch das Projekt CORRECT!V. Dabei handelt es sich um das erste gemeinnützige Recherchebüro im deutschsprachigen Raum, das möglichst viele Bürger in den Rechercheprozess einbinden und zugleich alternative Finanzierungsformen für Journalismus erschließen will. Das Projekt wird von der Brost-Stiftung unterstützt, die für drei Jahre jeweils eine Million Euro zur Verfügung gestellt hat.
Einer von etwa 15 festen Mitarbeitern von CORRECT!V ist Jonathan Sachse. Er unterstrich, Ziel sei eine virtuelle Redaktion, bei der kontinuierlich Mitglieder einer Community eingebunden werden könnten. CORRECT!V agiere gemeinnützig, investigativ sowie unabhängig von politischen Interesse und wirtschaftlichem Druck. So ließen sich auch in langfristigen Prozessen Missstände aufdecken, um die Gesellschaft positiv zu verändern. Das CORRECT!V-Team will außerdem Bürger und Journalisten schulen, Recherchen ermöglichen und Geschichten in Kooperation mit großen Medienpart-nern veröffentlichen. Darüber hinaus soll CORRECT!V dazu beitragen, große Datensätze auszuwerten und publizistisch neue Darstellungsformen zu erproben.
Die Idee einer unabhängigen, von einer Community unterstützten journalistischen Innovation verfolgt auch die per Crowdfunding finanzierte Plattform Krautreporter. Chefredakteur Alexander von Streit beschrieb den klassischen Journalismus als einen geschlossenen Club, zu dem das Publikum keinen Zutritt habe. Krautreporter.de hingegen beziehe die inzwischen fast 18.000 Community-Mitglieder bei der Suche nach Themen und Fakten mit ein. Die Mitglieder zahlen pro Jahr sechzig Euro. So könnten auch „Geschichten hinter den Nachrichten“ entstehen, betonte von Streit. Ohne ökonomische Imperative sei ein „ausgeruhter Journalismus“ ebenso möglich wie lange Themenbegleitung. Seit Oktober 2014 seien auf diese Weise von etwa zwanzig Krautreportern ungefähr 300 Beiträge realisiert worden.
In dem Maße, in dem immer mehr Nutzer und deren Endgeräte mit dem Internet vernetzt werden, liefern deren Daten auch völlig neue Recherche-Quellen. Marco Maas, geschäftsführender Gesellschafter von OpenDataCity, einer Agentur, die sich auf Datenjournalismus und Datenvisualisierung spezialisiert hat, zeigte in Frankfurt, was mit einer gezielten Datenrecherche und -analyse alles machbar ist. So lassen sich Verbindungen zwischen Lobbyisten und Politik nachweisen, aber auch Bewegungsprofile erstellen. In Zeiten, in denen Daten und Algorithmen zunehmend unseren Alltag abbilden und die Welt steuern würden, sei es wichtig, dass Journalisten die Zahlenwerte richtig lesen und interpretieren könnten, argumentierte Maas. Diese Meinung vertrat auch Sylke Gruhnwald. Die für den Bereich Data beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) zuständige Leiterin erklärte, es gebe vier Ebenen des Umgangs mit Daten: Zunächst gehe es einfach darum, Zahlen in einfachen Diagrammen zu zeigen. Komplexer sei es, Daten miteinander in Beziehung zu setzen oder gar zu analysieren. Die Königsdisziplin aber sei, selbst Daten zu erheben und auszuwerten.
Ganz gleich ob Datenjournalismus oder neue Methoden, das Publikum ist in den journalistischen Prozess einzubeziehen: Wie lassen sich eigentlich solche neuen Formen des Journalismus in den Redaktionen implementieren? Mit dieser Frage beschäftigte sich beim lpr-forum-medienzukunft eine Experten-Diskussion, die von Christina Elmer (Spiegel Online) moderiert wurde. Volker Matthies, der als Mitglied des Netzwerks Medien-Trainer Umstrukturierungsprozesse in zahlreichen Redaktionen begleitet, urteilte, Veränderungen ereigneten sich immer schneller und intensiver. Wichtig seien deshalb flache Hierarchien, Freiräume für Experimente und Mitarbeiter, die von den neuen digitalen Möglichkeiten überzeugt seien, ergänzte RTL-2-Nachrichtenchef Matthias Walter. Dieser Meinung schlossen sich auch Leif Kramp, Sylke Gruhnwald und Marco Maas an. Medientrainer Matthies appellierte an alle, neue Konzepte dürften das Internet nicht als Ergänzung betrachten, sondern müssten „vom Netz aus gedacht“ werden. Daten-Experte Maas ging noch einen Schritt weiter: Eigentlich gehe es darum, mobile Internet-Endgeräte wie das Smartphone ins Zentrum aller Innovationen zu stellen.
Und der klassische Journalismus? Der dürfe auch dann nicht an Stellenwert verlieren, wenn Publikumsbeiträge und Daten-Euphorie, Crowdfunding und Crowdsourcing als Allheilmittel gepriesen würden, warnte zum Abschluss des sechsten lpr-forum-medienzukunft der Eichstätter Journalistik-Professor Klaus-Dieter Altmeppen. Auch wenn sich die Finanzierung und die Rolle des Publikums ändere und sogar Roboter Texte schreiben könnten, gelte doch: Technik sei nur ein Werkzeug, Algorithmen hätten keine Moral und Roboter keine Verantwortung.
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