Erkundungen im journalistischen Neuland
Neues aus der Datenküche
Marco Maas Open Data City
Ich schaue mit einem relativ technischen Blick auf den Journalismus und auf die Gesellschaft; ich entdecke gerade ein spannendes Feld: das „Internet der Dinge“, das auch den Journalismus nachhaltig beeinflussen wird. Ich will anhand zweier Beispiele zeigen, wie sich aus meiner Sicht der Journalismus wandelt, und wie wir als Journalisten mit diesem Wandel umgehen können.
Bei dem ersten lade ich Sie ein, in meine Wohnung zu kommen. Seit etwa einem Jahr bauen wir meine Wohnung aus zu einem “Internet der Dinge“, einem Smart-Home, in dem alles, was es an Sensoren gibt, eingebaut wird. Alle Lichter sind intelligent, ich habe CO2-Sensoren in jedem Zimmer und überall Bewegungsmelder, es sind Luftmess-, Heizungs-, Temperatur- und diverse andere Automatik-Systeme verbaut. Ich will erkunden, welche Daten anfallen und was man damit machen kann. Aus diesen Daten haben wir einen sehr frühen Prototyp einer Visualisierung meines SmartHomes entwickelt. Wir wollen herausfinden, welche Themen können daraus entstehen, wo liegen die Rechte (Urheber-, Verwertungs-, Eigentumsrechte) an solchen Daten, was kann man über Menschen herausfinden, wenn der Betreiber von der Lichtanlage die Daten immer erst nach Hause funkt, bevor er sie weitergibt zur Verarbeitung an den einzelnen Nutzer? Kann man auf ein Archiv zugreifen, dafür mussten wir ein bisschen technisch rangehen und die Daten überhaupt erst einmal abgreifen aus den Systemen, sammeln und dann analysieren.
Wir gehen jetzt in den August 2014, wir sehen die verschiedenen Zimmer mit verschiedenen Sensoren. Ich kann mir den Bewegungssensor ansehen und erkenne zum Beispiel verschiedene Bewegungsmuster im Wohnzimmer, wer ist wann dort umhergelaufen. Ein Praktikant sollte etwas über mich herausfinden, was er noch nicht wusste: Er hat sich gewundert, dass immer so etwa um 18:00 Uhr Bewegung im Wohnzimmer war, obwohl ich da gar nicht zu Hause war. Man kann auch prüfen, ob meine Freundin mit ihrem Schlüssel gekommen ist oder ob mein Schlüssel benutzt wurde. Es stellte sich heraus, es war mein Staubsaugerroboter, der sich bewegt hatte. Ich kann auch sehen, wann welche Lichter an und ausgehen und in welchen Farben sie leuchten.
Eine kleine Anekdote noch schnell: durch die CO2-Sensoren habe ich getestet, wie lange braucht es, bis eine Warnung losgeht, wenn alle Türen und Fenster im Wohnzimmer geschlossen sind. Bei welchem Schwellenwert an Partikeln pro Kubikmeter empfiehlt mir mein Handy „Bitte lüften“. Das dauert etwa eine halbe Stunde, wenn ich stark atme. Am nächsten Tag schaute ich im Büro auf mein Handy auf die Echtzeitdaten und stellte fest, dass es einen steilen Anstieg gab. Dann habe ich gerechnet, wie viele Personen sich gerade in meinem Wohnzimmer aufhalten müssten – und es waren zweieinhalb. Also habe ich meine Freundin angerufen und gefragt, was los sei. Sie gab gerade Klavierunterricht, und die Mutter des sechsjährigen Klavierschülers war auch mit dabei.
Was hier an Daten abfällt, ist hochspannend. Daten kommen aus Quellen, die man überhaupt nicht vorhersehen kann und bei denen man nicht darüber nachdenkt, dass sie eine datenschutzrechtliche Relevanz haben könnten.
Was auch wichtig ist: Alle Daten, die hier anfallen, alles, was in unserer Gesellschaft passiert, basiert immer mehr auf Algorithmen. Zum Beispiel ist die Schufa-Auskunft etwas algorithmisch Gesteuertes, die Standortförderung der Hansestadt Hamburg ebenso wie Großkonzerne durch Algorithmen gelenkt werden. Das versteht ein normaler Mensch aber noch nicht wirklich; ich habe den Eindruck, dass mit dem „Internet der Dinge“ dieser Punkt viel fassbarer werden wird und genau diese ganzen Fragen werden wir zusammen mit Spiegel Online demnächst in einem Special aufgreifen und erforschen, welche Probleme sich daraus ergeben. Derzeit würde ich behaupten, begründet sich der Jubeljournalismus eher dadurch, dass man sein Telefon benutzen kann, um die Lichter an- und aus zu machen und ähnlich einfache Dinge regeln kann.
Für Journalisten zeigt dieses Beispiel, wie wichtig dieser Themenkomplex ist, gleichzeitig aber auch, wo die Grenzen des klassischen Erzählens sind. Für eine wirklich relevante Darstellung muss der Journalist hier technisch einsteigen, eventuell sogar Systeme entwickeln, mit denen er an Informationen gelangt, die das Erzählen einer Geschichte ermöglicht. Ein reiner Zugriff auf Experten reicht bei dieser komplexen Thematik nicht mehr aus, um einordnend agieren zu können. Mit diesem Beispiel habe ich selbst die Hand auf den Daten und kann selbst analysieren und bestimmen, worum sich meine Geschichte dreht.
Das zweite Beispiel ist die neue Version von LobbyPlag, einer Plattform, die wir gestartet haben, um die Neuordnung des europäischen Datenschutzes zu begleiten – in der jüngsten Iteration beschäftigen wir uns mit dem Europäischen Rat, also dem Gremium der Staats- und Regierungschef der 28 EU-Mitgliedsstaaten, als intransparentem System.
Seit rund drei Jahren begleiten wir die Reform des Datenschutzes auf EU-Ebene. Wir haben uns im Abstand von jeweils einem Jahr die Dokumente angesehen, die die Verbindung zwischen Lobbyisten und Politikern in Brüssel aufzeigen. Das ist ein relativ abstraktes, trockenes Thema, wir konnten in der ersten Variante zeigen, dass sich Politiker von Lobbyisten Gesetzesänderungsanträge vorschreiben lassen und die dann übernehmen oder auch nicht. Wir konnten ein Ranking erstellen, welche Politiker haben welche Formulierungen von welcher Firma übernommen. In LobbyPlag 2 haben wir geschaut, welche Änderungsanträge waren erfolgreich. Und jetzt beschäftigen wir uns in LobbyPlag 3 mit dem Europäischen Rat, der ein sehr intransparentes Organ ist, und der der Adressat intensiven Lobbyismus
ist. Vergangenes Jahr wurde ein Kompromiss im Rat verabschiedet, der einigermaßen in Ordnung war. Dieses Jahr soll über diesen Kompromiss im Rat entschieden werden; wir haben dokumentiert, an welchen Stellen welche Politiker aus welchen Ländern noch Änderungsanträge einreichen. Es kommt heraus, dass an etwa 140 Stellen verschiedene Länder noch Änderungsanträge einreichen, die das Datenschutzrecht massiv aushöhlen können. Wir haben ungefähr 11.000 Seiten aus den internen Protokollen des Rates gezeigt, die nicht öffentlich sind, um zu zeigen, was hier tatsächlich entschieden wird und welche Länder dahinter stehen. Um das Ganze zu personalisieren und um Journalisten zu ermöglichen, darüber auch einfacher zu berichten, haben wir Kopfnoten verteilt, wo wir zeigen, dass sich zum Beispiel der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere in vielen Fällen für einen schwächeren Datenschutz einsetzt und nur in wenigen Fällen mehr Privacy unterstützt.
Wir haben versucht, die Ergebnisse an die Redaktionen zu verteilen, ähnlich dem CORRECT!V-Prinzip ‚Klaut unsere Geschichten‘, haben auch selbst Geschichten zusammen mit dem Blogger Richard Gutjahr veröffentlicht, um eine neutrale Plattform zu haben. Denn bei der Zusammenarbeit mit einem großen Medium würde nur dieses eine das Thema veröffentlichen, die anderen würden es nicht anfassen.
Auch hier die Frage, ist das noch Journalismus? Wir arbeiten ganz klar journalistisch, indem wir Daten beschaffen, Daten analysieren, Daten gewichten, um daraus Geschichten zu machen. Was hier aber gerade mit LobbyPlag passiert, ist etwas, was ich eigentlich als Aufgabe des Staates oder der Europäischen Union sehen würde – wir bereiten etwas vor, was ich als den „legislativen Fußabdruck“ bezeichne: Von der Entstehung eines Gesetzes, den Lauf durch die verschiedenen Gremien bis zur Veröffentlichung zeigen wir auf, was an jeder Stelle passiert. Das ist für mich etwas, was für die Gesellschaft wichtig ist, es ist auch etwas Journalistisches, aber es ist eigentlich nicht unsere Aufgabe. Nichts desto trotz, wir verstehen wieder Systeme, um darüber etwas zu erzählen.
Das waren die beiden Beispiele und jetzt möchte ich noch einen Gedanken mitteilen, der mir kürzlich gekommen ist. Sie alle kennen wahrscheinlich die These, dass der Journalismus nicht mehr auf Websites stattfinden müsse, sondern dass man in die Timeline kommt, Facebook, Twitter etc. Auch crossmedial fällt in dem Zusammenhang als Begriff.
Ich behaupte, mit dem „Internet der Dinge“ kommen noch ganz andere Facetten auf uns zu. Wenn man sich ansieht, wie die Verbreitung von Smartphones im Verhältnis zu Personal Computern ansteigt, dann haben wir einen radikalen Wandel vor uns. Mein eigener Tagesablauf sieht schon so aus, dass ich mit einem Handywecker aufstehe, drücke die Snooze-Taste, habe dann im Bad ein Tablet mit Status-Updates der Wohnung, also schon das zweite Display. An einen echten Computer komme ich erst etwa 1,5 Stunden später. Eigentlich müsste ich doch als Journalist diese Lebensrealität noch viel stärker einbeziehen als ich es derzeit mache. Jedes Content Management System, in dem derzeit geschrieben wird, befindet sich auf einem Rechner, und ein Journalist denkt im Regelfall auch erst an die Publikationsform, meine Website oder mein Magazin.
Die Zahlen zeigen eindrucksvoll, dass das nicht mehr die Realität ist, sondern dass wir überlegen müssen, wie wir auf das Handy kommen. Samsung hat dieses Jahr auf der CES in Los Angeles bekannt gegeben, dass sie pro Jahr 300 Millionen Dinge verkaufen. In fünf Jahren wollen sie 500 Millionen Dinge verkaufen und in fünf Jahren, sagt Samsung, enthält jedes einzelne der Dinge, das über Strom läuft, einen Sensor. All diese Dinge, von der Zahnbürste über den Fön, die Kaffeemaschine bis zur Waschmaschine, werden miteinander kommunizieren. D.h., ich habe sehr viel mit dem“ Internet der Dinge“ zu tun und das schließt auch mein Handy mit ein. Deswegen frage ich mich, wo es journalistische Einstiegspunkte geben könnte, wo ich Aufmerksamkeit dafür generieren kann, dass ich meine Geschichten entscheidend verbreite. Der Fall, dass jemand eine Seite aufruft, irgendwohin geht, um Informationen abzurufen, das wird immer weniger der Fall sein. Mir kam neulich die Idee, warum ist der Wecker im Handy nicht eine journalistische Kommunikationsplattform? Denn zwischen Snooze-Taste drücken und Aufstehen könnte ich in den zehn Minuten schon die drei wichtigsten Meldungen des Tages dort bekommen. Das kann man auf viele verschiedene Arten denken, aber das Prinzip wird wohl klar: ich denke nicht mehr vom Publizieren her, sondern wie Leute Informationen konsumieren. Ich muss als Journalist zu einem Kommunikationsversteher und Kommunikationsstifter werden, und ich muss die Infrastruktur verstehen und erforschen, in welche Richtung es gehen wird.
Wir haben gerade drei Projekte am Laufen, wo wir uns mit Roboterjournalismus befassen. Wie kann ich aus Datensätzen automatisiert Nachrichten generieren, zum Beispiel wann war das Fußballspiel am spannendsten, wann war ein Jahrhundertsommern, wie ist der Tankstellenpreis auf meinem Weg zur Arbeit. Diese Nachricht könnte auch von Lokalmedien kommen, sie muss aber von jemandem geschrieben werden und dazu hat kein Journalist Lust, deshalb beschäftigen wir uns gerade damit. Ein anderes Feld ist der Sensorjournalismus. Da orientieren wir uns z.B. an Luftmessstationen, an Wetterdaten, an Glatteiszahlen oder Nebelmeldungen. Daraus könnte man Millionen von Meldungen generieren, um das Leben meiner User, meiner Leser zu erleichtern.
Es sind spannende Zeiten, in denen wir leben – wenn wir uns trauen, den Wandel zu begrüßen. Auf eine schöne neue Welt. ;-)