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Erkundungen im journalistischen Neuland
Recherchieren für die Gesellschaft
Jonathan Sachse CORRECT!V

Wir sind im letzten Sommer im Juli gestartet und heute kann ich Ihnen ein erstes Zwischenfazit nach den ersten acht Monaten geben. Wir sind mittlerweile ein Team von 15 Festangestellten, wenn man das ganze Team mit externen Mitarbeitern, Praktikanten, Fellows und Voluntären rechnet, sind wir schon etwas mehr als 30 Leute. Die Zentrale von CORRECT!V ist in Essen und die Betriebsstätte, wo der redaktionelle Alltag stattfindet, ist in Berlin. Wichtig ist unsere Rechtsform, wir sind gemeinnützig, hinter uns steckt die Correctiv – Recherchen für die Gesellschaft gGmbH.

Drei Dinge, die wir mit CORRECT!V gern in Verbindung bringen wollen, sind die Gemeinnützigkeit, das heißt, wir sind nicht profitorientiert, wir finanzieren uns über Spenden, die auch steuerlich absetzbar sind, das Zweite ist, dass wir investigativ unterwegs sind. Wir sind über Wochen, Monate oder gar Jahre mit Recherchen für ein Thema beschäftigt, bevor wir etwas veröffentlichen. Das Dritte ist unsere Unabhängigkeit. Unabhängigkeit heißt für uns, dass wir frei von politischen Einflüssen sind. Hinter uns stehen keine Interessengruppen, die mitbestimmen, welche Themen angegangen werden. Es gibt trotzdem Kontrolle, wir haben einen Aufsichtsrat, der sich die Finanzen genau anschaut, es gibt einen Ethikrat, der uns inhaltlich begleitet. Und zur Unabhängigkeit gehört auch, dass wir keinen Produktionsdruck haben, keine Zeitung muss am nächsten Tag fertig sein, kein Sender muss bedient werden. Unsere Geschichten werden veröffentlicht, wenn sie fertig recherchiert sind.

Unser Anspruch bei CORRECT!V, den wir bei den Recherchen zugrunde legen, ist, dass wir Missstände der Gesellschaft erkennen wollen. Wir glauben, dass wir durch unsere Gemeinnützigkeit mehr Möglichkeiten bei der inhaltlichen Arbeit haben. Wir werden sogar dazu gezwungen. Um wirklich gemeinnützig zu arbeiten, schauen wir, was der Gesellschaft zugutekommt, wo gibt es Fehlverhalten, wie definieren wir Fehlverhalten und worüber wurde noch nicht berichtet. Die Themen, die wir angehen, die möchten wir nachhaltig besetzen. Das heißt, wir berichten nicht nur einmal, wir begleiten das über einen langen Zeitraum und schauen, was ist mit dem Thema passiert. Wir möchten immer wieder darüber berichten und das auch aus verschiedenen Perspektiven. Und am Ende steht der Anspruch für uns als Journalisten, dass wir die Gesellschaft zum Positiven verändern können, wenn wir tief in Themen eintauchen und Missstände offenbaren.

Unsere Finanzierung basiert auf drei Säulen. Zunächst ist da die Brost-Stiftung, die uns eine Anschubfinanzierung über 3 Millionen Euro für die ersten drei Jahre gestiftet hat, dann haben wir mehrere große Einzelspender – Mäzene – und einzelne Personen, die kleinere Beträge spenden. Unser mittelfristiges Ziel ist, dass wir den Pool der Einzelspender ausbauen, so dass wir unabhängiger von wenigen großen Stiftungen und ihren Beiträgen werden. Konkret heißt das, dass wir eine Community aufbauen. Jeder kann bei uns Mitglied werden. Wir bieten verschiedene Stufen an Beiträgen an, die steuerlich absetzbar sind. Als Mitglied der CORRECT!V-Community hat man einige Vergünstigungen gegenüber normalen Lesern. Man bekommt unseren Quartalsbericht zugeschickt, man bekommt ein Printmagazin einmal im Quartal zugeschickt und man hat Zugriff auf eine Plattform, auf der sich nur Community-Mitglieder austauschen können.
Ich gebe einen kleinen Einblick, wie wir produzieren. Das ist von außen nicht so leicht fassbar. Wir haben nicht das eine Medium, indem wir linear veröffentlichen, sondern arbeiten mit vielen verschiedenen Partnern zusammen. Im Mittelpunkt unserer Recherchen stehen die Daten. Wenn wir sagen, wir möchten strukturelle Missstände erkennen, dann geht das nicht, indem wir uns einzelnes Fehlverhalten raussuchen und darüber Skandalanekdoten erzählen. Wir müssen versuchen, die Dinge strukturell anzugehen und das geht sehr gut, indem man die Daten zur Verfügung hat, mit denen man die Missstände auch strukturell auswerten kann.

Ein anderer Schwerpunkt ist, dass wir uns sehr für Informationsfreiheit einsetzen, wir versuchen mit den Methoden, die wir als Journalisten und Bürger zur Verfügung haben, mit dem Informationsfreiheitsgesetz, den Landespressegesetzen usw. eine fachliche Kompetenz bei uns aufzubauen. Wir sind eine Kooperation mit ‚Frag den Staat‘, ein Portal für ein Informationsfreiheitsgesetz, ganz bewusst eingegangen und setzen da einen starken Schwerpunkt.

Zu unserer Arbeitsstruktur: Wir sind nicht verschiedene nach Themen geordnete Ressorts, sondern bei jeder Geschichte findet sich ein neues Team zusammen – je nach fachlicher Kompetenz und Erfahrung. Das entscheiden wir bei jeder Recherche neu. Und wir arbeiten international, also über die deutschen und deutschsprachigen Grenzen hinaus. Wir haben einen Kooperationsvertrag mit dem italienischen Recherchebüro IRPI, mit denen wir einen Mafia-Blog befüllen, auf dem wir über die Mafia in Italien und in Deutschland kontinuierlich berichten. Es gibt hier viele Schnittmengen. Es ist sinnvoll, dass wir kooperativ zusammenarbeiten.

Und der letzte Punkt ist, der uns immer wichtiger wird: Wir wollen mit interessierten Bürgern zusammenarbeiten. Wir möchten sie darin fortbilden, was für uns Journalismus heißt, wie journalistische Methoden funktionieren und dann die Recherche gemeinsam beginnen.

Bei jede Geschichte überlegen wir neu, wie wir eine Geschichte erzählen können. Wenn wir eine Geschichte identifiziert haben, die Reporter angehen, treffen wir uns. In einer extra Redaktionssitzung besprechen wir, wie das Thema behandelt werden soll und was es für Materialien gibt: Texte, Bilder, Videomaterial usw. Dann entwickeln wir zusammen, in welchen Formaten wir die Geschichte erzählen können. Das ist zunächst ergebnisoffen. Es entsteht auf jeden Fall immer eine Webseite, das muss sein, aber es könnte theoretisch auch ein Theaterstück sein, das wir für ein Thema produzieren würden. Das könnte auch Schulungsmaterial sein, mit dem wir Schülern etwas an die Hand geben wollen. Wir überlegen jedes Mal neu, für welche Zielgruppe ist das Thema und wie erreichen wir diese Menschen, die wir durch eine klassische Erzählweise vielleicht nicht erreichen würden, und dann versuchen wir, das Format entsprechend der Zielgruppe zu entwickeln.

Wie erzählen wir das bislang? Durch unsere Gemeinnützigkeit bezahlt uns niemand für unsere Geschichten. Wir möchten aber, dass viele Menschen unsere Geschichten lesen. Es sollen nicht nur ein paar Leute davon erfahren, die auf unsere Webseite CORRECTIV.org kommen. Deswegen ist es uns wichtig, bei jeder Geschichte einen Partner zu suchen, bei dem wir als erstes die Geschichte veröffentlichen. Das kann im Laufe des Rechercheprozesses oder auch erst am Ende der Recherche sein. Am selben oder einen Tag später erscheint die Geschichte dann auf unserer Webseite in einer Version, die jeder frei verwenden kann. Diese Methode haben wir uns von einem unserer Vorbilder – ProPublica in den USA, auch ein non-profit-journalism-Büro – abgeschaut. Das heißt, diese Geschichte, die wir auf unserer Plattform online stellen, die kann jeder kostenlos verwenden. Das können Blogs oder Printmagazine sein, wer immer Interesse hat. Wir denken, dass wir eine Recherche durchgeführt haben, die sonst niemand gemacht hat und die soll möglichst viele Leute erreichen.
Wir versuchen, bei jeder Geschichte den lokalen Medien ein Tool an die Hand zu geben, mit dem sie die Geschichte weiterspinnen können.

Ein Beispiel dazu: Sie wissen, der Prozess gegen Sebastian Edathy ist gegen eine Geldspende von 5.000 Euro eingestellt worden. Das Geld sollte einem guten Zweck zugutekommen. Bislang wurden die Zahlen, wer welches Geld von den Gerichten bekommen hat, nicht veröffentlicht, jedenfalls nicht in allen Bundesländern. Und wir haben über ein Jahr lang – schon in der Zeit vor CORRECT!V – für die Jahre von 2011 bis 2013 bei den Gerichten nachgefragt, wohin sie ihre Gelder verteilt haben. Wer hat von den Spenden profitiert, die nicht in der Staatskasse gelandet sind? Wir konnten nur einen kleinen Teil von den rund 100 Millionen Euro an verteilten Geldern auswerten, aber wir haben damit eine Datenbank geschaffen (http://correctiv.org/recherchen/spendengerichte/), die man weiterspinnen kann. Die lokalen Vertreter kennen ihre Vereine und sozialen Institutionen am besten und können nachforschen, wohin Spenden gingen oder ob eine Spende zum Beispiel an einen nationalsozialistischen Verein ging oder ob ein Richter jemanden bevorzugt hat aufgrund von Bekanntschaften.

Die Geschichte, die wir im Januar veröffentlicht hatten, bislang unsere größte Geschichte (http://mh17.correctiv.org/), handelt von dem Abschuss der MH17 Passagiermaschine, die über der Ostukraine abgestürzt ist. Diese Geschichte ist auch in der Tagesschau gelandet. Wir haben mit traditioneller Vor-Ort-Recherche und mit neuen Methoden gearbeitet. Das Crowdsourcing-Recherche-Portal Bellincat hatte Metadaten von Fotos und Video ausgewertet, die wir wiederrum vor Ort in der Ostukraine verifiziert haben und mit eigenen Recherchen und Datenauswertungen ergänzt haben.

Seit kurzem steht die Geschichte „Weisse Wölfe“ online (http://weisse-woelfe-comic.de/), dabei geht es um Neonazis, die vom Ruhrgebiet aus in ganz Deutschland agieren. Diese Geschichte hätten wir einfach ganz klassisch aufschreiben können. Wir haben aber daraus ein Comicbuch entwickelt, das man online lesen, aber auch haptisch als Buch bestellen kann.

Wie schon erwähnt, ist es uns sehr wichtig, dass wir mit Bürgern zusammenarbeiten. Für uns heißt das, dass wir daran glauben, dass jeder Bürger ein Journalist sein kann. Nicht so, dass er einfach losarbeitet, aber die Kernkompetenzen eines Journalisten, Daten sammeln, aufbereiten und veröffentlichen, kann jeder Bürger umsetzen. Dazu muss er zwei Punkte erfüllen. Es sind die Kriterien, die einen schlechten von einem guten Journalisten unterscheiden. Er muss Erfahrungen sammeln. Das passiert mit der Zeit. Beeinflussen können wir aber, dass eine Person in journalistischen Methoden ausgebildet wird. Wir können dem Bürger beibringen, wie man zum Journalisten werden kann, was man dafür wissen muss. Deswegen ist ein Kernansatz von CORRECT!V, möglichst viele Leute auszubilden und wir glauben, wenn das geschafft ist, werden viele Leute beginnen zu recherchieren und dann wird unsere Gesellschaft auch ein bisschen besser.

Praktisch sieht das so aus: Wir haben im Dezember eine Crowdfunding-Plattform gestartet, wo wir interessierten Bürgern und freien Journalisten die Möglichkeit geben wollen, Geld zu generieren, um selbst Geschichten auszuarbeiten und zu veröffentlichen. Das ist klassisches Crowdfunding, wobei wir den Menschen versprechen, sie nicht nur beim Crowdfunding, sondern auch später beim Rechercheprozess zu begleiten. Der Reporter, der über Crowdfunding seine Geschichte ausarbeitet, bekommt einen CORRECT!V-Reporter zur Seite gestellt, mit dem er alles besprechen kann. Wenn jemand noch nie eine Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz eingeholt hat, kann er das bei uns lernen. Wir wollen Leute vor Ort ausbilden. Seit Monaten reisen wir durch ganz Deutschland und geben Workshops zum Informations- und Freiheitsgesetz. Die Themenpalette soll erweitert werden. Wir machen das meistens in Kooperationen mit Redaktionen in den Räumen, wo sich das anbietet. Und das bauen wir jetzt aus, indem wir das Bildungsangebot jetzt auch online aufbauen. Es wird einen Online-Tutorial-Bereich geben, in dem unsere Reporter Video-Schulungen geben.

Und der letzte Punkt, an dem das ganz konkret wird, ist eine virtuelle Redaktion, die wir entwickeln. Das haben wir früh angekündigt und gehen das jetzt seit einigen Wochen konkret an. Das ist eine Vision, die bei CORRECT!V von Anfang mitschwang, wir möchten Raum schaffen für Recherchen, die von Anfang an offen stattfinden. Das geht nicht bei investigativen Recherchen, aber in vielen Fällen geht es. Beginnen möchten wir mit den Sparkassen, wir denken, da gibt es strukturelle Missstände, die immer mal wieder auftauchen. Auch wenn die Sparkassen im Bankensystem ein gutes Modell sind, denken wir, dass man viele Sachen verbessern könnte. Wir können uns nicht alle 417 Sparkassen allein anschauen. Dann könnten wir nur oberflächlich berichten. Besser ist es, wenn wir andere Menschen ausbilden, ihnen zeigen, was bei den Sparkassen grundsätzlich interessant sein könnte. Gibt es bei deiner Sparkasse auch jemanden, der eine Luxusrente kassieren möchte? Wir geben den Leuten Recherchefragen an die Hand, überprüfen das und sammeln die Ergebnisse in einem internen Community-Bereich und werden mit der Zeit mit der Community zusammen erste Geschichten veröffentlichen.