Erkundungen in der neuen Welt des Journalismus
Beispiel 1: Die Publisher-Plattform
Michael Paustian, Creative Director upday, Head of Strategic Product Development,
Axel Springer
Beispiel 2: Die Community-Schmiede
Dr. Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin Der Standard und derStandard.at
Beispiel 3: Die Social-First-Nachrichten
Dr. Clas Dammann, Teamleiter heute+, ZDF
Diskussion
Ingrid Scheithauer: Was muss der Inhalteanbieter heute von seinem Nutzer wissen, damit er gute Programmangebote machen kann. Herr Dammann, Sie haben 83.000 Nutzer? Was wissen sie außer dem Durchschnittsalter genau über Ihre Nutzer und was möchten Sie gern wissen?
Clas Dammann: Wir beziehen uns in dem, was wir über unsere Nutzer wissen, auf das, was wir aus den Daten, die uns die Netzwerke zur Verfügung stellen, auswerten können. Das sind relativ banale Grundfaktoren, welche Sprache sie sprechen, wo sie wohnen und wie alt sie sind. Ob Männlein oder Weiblein. Wir sehen auch – und da wird die Analyse interessanter – zum Teil in den Videoabrufen relativ genau, was wie lange geschaut wird und wie lang die Leute dranbleiben. Das ist für uns eine neue Situation. Früher hatten wir immer mit der TV-Quote einen Durchschnittsnäherungswert, jetzt kann man genau sehen, die Nutzung geht hoch, dann geht’s irgendwann runter und es flacht hinten ab. Das schauen wir uns genau an. Aber dass wir dann den Schluss daraus ziehen, diese oder jene Beiträge machen wir nie wieder, weil es nach 20 Sekunden schon steil abwärtsgeht und dann gucken nur noch sieben Prozent bis zum Ende, so weit sind wir noch nicht und soweit sollten wir auch nicht gehen. Wenn wir die Kurvenverläufe der einzelnen Sendung betrachten, sagen wir nicht, hier gibt es einen Knick in der Kurve und deshalb machen wir keine Kulturberichterstattung mehr. Wir wissen natürlich auch, dass viele andere Anbieter solche Daten sehr viel genauer und viel expliziter durchforsten. Mit dem, was wir sehen, bekommen wir zumindest ein gutes Gefühl dafür, was nachgefragt wird und was nicht; und das reicht uns fürs Erste. Für den Start hat es ganz gut funktioniert.
Ingrid Scheithauer: Und wenn Sie sich etwas wünschen könnten, was würden Sie gerne wissen wollen über Ihr Publikum?
Clas Dammann: Wünschen würde ich mir mehr Kapazitäten, um diese Daten tatsächlich noch detaillierter auswerten zu können.
Ingrid Scheithauer: Herr Paustian, ich habe noch eine Verständnisfrage. Sie haben vorhin gesagt, upday nimmt keine persönlichen Daten seiner Nutzer auf. Dann haben Sie Ihr Samsung hochgehalten und gesagt, es sei die ID des Gerätes. Was ist der Unterschied?
Michael Paustian: Es ist relativ einfach, wir haben überhaupt keine personenbezogenen Daten bisher, die wir in irgendeiner Form aggregieren. Das heißt, wir kennen nicht einmal das Geschlecht des Nutzers oder ähnliche Basisdaten. Wir haben zwei Welten, die eine ist der journalistische Bereich, dort interessieren wir uns per se überhaupt nicht, welche Präferenzen unsere Leser haben, dort wird ausschließlich nach Relevanz sortiert. Die zweite Welt ist der Bereich Interessen und das Verhalten innerhalb der App. Die Frage, welche Themen der einzelne mag, ist da relevant, weil sie ein Teil der Symphonie ist. Andere Teile sind, dass wir immer wieder neue Themen einspielen, da ist es entscheidend zu lernen. Z. B. ich bin ein Hamburger Jung‘, mir können Sie mit einer Geschichte über Borussia Mönchengladbach nicht kommen, da möchte ich lieber etwas über meinen HSV lesen. Das zu lernen, ist für uns entscheidend; und das tun wir, das tracken wir mit. Innerhalb unserer App sehen wir, welche Themen der einzelne User nachfragt. Das aber wird in keiner Form zusammengeführt mit personenbezogenen Daten, die wir, wie gesagt, auch gar nicht haben.
Ingrid Scheithauer: Sie haben sich mehrfach kritisch über das geäußert, dass Facebook z. B. Daten sammelt, aber und nicht in diesem Umfang an die journalistischen Quellen, an die Verlage weitergibt. Was genau fehlt, was geben die Großen nicht weiter, was machen Sie anders bei upday?
Michael Paustian: Ich glaube, wir sind uns alle der Gefahren bewusst, die mit den Plattformen einhergehen. Wir wollen nicht die Kontrolle über unseren Content verlieren, das gilt für uns bei Axel Springer als Publisher, aber im Umkehrschluss auch für alle unsere Partner bei upday. Dennoch gilt: Es ist wichtig und richtig, viel zu lernen auf allen Ebenen. Mit allen Partnern. Wir bei Springer führen sehr klar und sehr offensiv diese Diskussionen, ob es richtig ist, mit Facebook, Google etc., mit allen zu spielen, allein aus strategischen Gründen. Am Ende wird Journalismus der entscheidende Faktor sein, und Content wird das sein, was darüber entscheidet, welche Produkte angenommen werden. Wir Publisher befinden uns gerade in einer sehr guten Position. Googles Accelerated Mobile Pages ist ein gutes Beispiel, AMP ist eine Art Anti-Instant-Articles-Produkt. Die großen Player versuchen, an wertvollen Content zu kommen. Sie bieten dafür verschiedene Lösungen an und das verschafft uns die Möglichkeit, neu und besser zu verhandeln, als das bisher oftmals der Fall ist.
Ingrid Scheithauer: Das war nicht so ganz die Antwort auf meine Frage. Wie anders geht upday mit seinen Partnern um mit Blick auf die Daten, die Sie haben.
Michael Paustian: Wir wollen weder die Ad Impression noch die Page Impression noch den Kunden. Das, was wir bisher zumindest von Instant Article bekommen oder auch das, was unsere Kollegen in den USA von Apple News an Daten bekommen, ist relativ wertlos. Wir als upday wollen den Publishern so viele Daten und zusätzliche Informationen liefern wie möglich, auch was wir auf der Plattform sehen, nicht zuletzt, damit sie bessere Produkte machen können. Denn am Ende liegt auch ganz viel daran, wie gut unsere Produkte sind.
Ingrid Scheithauer: Frau Föderl-Schmid, wenn es upday in Österreich gäbe, wäre das ein attraktives Projekt für Sie?
Alexandra Föderl-Schmid: Nachdem wir nur Dinge machen, die wir aus dem eigenen Angebot entwickeln, müsste es eine Adaption davon sein. Was ich gelernt habe, ist, Sie haben 24 Algorithmen und was ich gesehen habe auf dem Screen, der obere Teil ist personalisiert. Das ist zumindest weitergehend als das, was wir bisher machen. Wenn Sie bei uns auf einen Artikel klicken, dann werden Ihnen, gesteuert vom Algorithmus, Vorschläge, Geschichte zum Weiterlesen angezeigt. Das ist etwas, was im Hintergrund passiert und basierend auf dem, was wir über den Nutzer/die Nutzerin wissen. Etwas, wo wir jetzt gemerkt haben, dass der Algorithmus nicht gut funktioniert, ist im Postingbereich, da wurde relativ lange dran gearbeitet, Top-Postings auszuweisen.
Ingrid Scheithauer: Sie brauchen sozusagen eine Maschine, die die 22.000 Postings oder zumindest einen Teil davon bearbeitet. Wie geht das?
Alexandra Föderl-Schmid: Diese Maschine muss ja jemand mit Parametern füttern. Und unser Foromat war offenbar schlecht gefüttert, weil auch Postings ausgewiesen worden sind, die zum Beispiel die Konkurrenz gepriesen haben. Aber alles dem Algorithmus überlassen, das würde ich nicht wollen und wenn ich mir die Geschichten anschaue, die am meisten geklickt werden, habe ich auch weniger positive Beispiele. Der Rücktritt der Organisatorin des Opernballs war vor zwei Wochen die am häufigsten angeklickte Meldung, das würde ich einfach nicht als Aufmacher eines Qualitätsmediums, wie es Der Standard ist, haben wollen. Da gibt es noch immer die journalistische Priorisierung, Zugriffe bzw. Verweildauer sind nicht alles.
Ingrid Scheithauer: Was möchten Sie denn jetzt genau mit diesen 208.000 Euro, die Sie von Google bekommen, machen? Sie waren ja überrascht über das große Füllhorn.
Alexandra Föderl-Schmid: Über die Summe waren wir überrascht, über das Projekt nicht, weil wir wissen, dass der Foromat weiterentwickelt werden muss. Er ist im Jahr 2004 entwickelt worden, 2005 ging er online und muss neu aufgesetzt werden. Was wir erwarten, ist, dass sich die Diskussionsqualität verbessert. Es ist jetzt schon so, dass wir sehr viele Moderationsfähigkeiten brauchen, aber gewisse Diskussionen lassen sich schwer steuern. Der Zeitpunkt, wann Diskussionen ins Negative kippen, ist eine schwierige Frage. Wir haben versucht, nach den ersten sechs Postings einzugreifen, weil das seitens der Wissenschaft so empfohlen wurde. Aber in der Flüchtlingsdebatte sieht man, wie schwierig es ist, einen positiven Ton hineinzubekommen, zumindest in Österreich. Und da könnte die künstliche Intelligenz vielleicht eine Hilfestellung für die Menschen bieten und auch Arbeit abnehmen. Bei uns ist die Moderation der Postings ein relativ großer Bereich geworden.
Ingrid Scheithauer: Herr Dammann, wenn es dieses Tool dann gibt …
Clas Dammann: … sind wir dabei. Nein, eine Diskussion so zu moderieren, dass sie sinnvoll für die Beteiligten ist und auch nicht kippt, ist gerade bei allen Inhalten rund um die Flüchtlingsfrage immens schwierig. Die klassische Abfolge ist Meinung, Link zu irgendwelchen obskuren Verschwörungswebsites und dann wird beleidigt und zwar möglichst deftig. Da können wir zum Teil bei Facebook beispielsweise nur noch löschend eingreifen, um das Schlimmste zu verhindern. Wir versuchen dann den Tenor aus den Diskussionen herauszulesen und ihm gesamt mit einer Antwort zu begegnen. Aber das ist eine Arbeit, die auch sehr belastend ist. Man bekommt ein total schräges Bild von der Welt.
Alexandra Föderl-Schmid: Wir brechen auch nach zwei, drei Stunden bewusst ab. Sie haben vorhin vom Psychiater gesprochen, bei uns bezeichnen sich einige Redakteure auch als digitale Mistkübelausleerer – es ist anstrengend. Und wenn es auch aus diesen Gründen auf eine Maschine ausgelagert werden könnte, wäre das gut.
Clas Dammann: Wenn Sie intensiv involviert sind in manchen Diskussionen, beginnen Sie durchaus an der Menschheit zu zweifeln. Das ist aber bei uns zumindest vor allem auf die Flüchtlingsthematik begrenzt. Öffnen Sie das thematische Feld wieder zu anderen Themen, gibt es von manchen Leuten, die hasserfüllt gepöbelt haben, auch wieder konstruktive Beiträge in anderen Bereichen, in denen sie sich vielleicht inhaltlich besser auskennen und mehr faktische Beiträge liefern können. Aber trotzdem, das ist eine Herkulesaufgabe.