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Archiv 2014 „Vernetzt und Vermessen”

Pressemitteilung

Welterklärung oder Kontrollverlust?

lpr-forum-medienzukunft 2014 zum Thema „Big Data“ am 27. März in Frankfurt

Frankfurt am Main, 27. März 2014
Big Data verändert die Welt. Digitale Hochleistungsrechner, schnelle Datenleitungen und moderne Software machen es möglich, aus dem schier unendlich wirkenden Kosmos gespeicherter Online-Daten jeweils genau die herauszusuchen, die dazu beitragen, aus dem Chaos der Informationen bestimmte Zusammenhänge herauszulesen. Wem aber „gehören“ die Daten? Welche sollen oder dürfen verknüpft werden – und welche nicht? Das Phänomen Big Data wirft eine Fülle rechtlicher, sozialer, ökonomischer und auch technologischer Fragen auf. Beim lpr-forum-medienzukunft zum Thema „Vernetzt und vermessen: Big Data – eine Revolution und was sie für uns bedeutet“ diskutierten Experten vor etwa 200 Gästen am 27. März in Frankfurt darüber, wo Chancen und Grenzen der neuen Big-Data-Welt liegen.

Isabell M. Welpe wies in Frankfurt darauf hin, neunzig Prozent der in der Welt verfügbaren Daten seien in den vergangenen zwei Jahren entstanden. Die Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation der Technischen Universität München betonte, der richtige Einsatz von Big Data spare ökonomisch Zeit, Material und Energie. Noch stammten fast alle Online-Daten im Internet von Menschen und seien per Hand eingegeben worden. Dies werde sich aber im Zeitalter des Internets der Dinge ändern, weil immer mehr Daten automatisch von Geräten und Sensoren online übermittelt würden. Die Folge: eine weitere Vervielfachung der Daten. Für Innovationen und wirtschaftliche Wertschöpfung sei es nötig, aus einer stetig wachsenden Datenmenge diejenigen herauszufiltern, die für bestimmte Unternehmen nützlich sein könnten.

Auf welche Weise Algorithmen neue Geschäftsmodelle auslösen können, erläuterte Philipp Leutiger. Der Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants erklärte, wie TV-Programmanbieter die Nutzerdaten von Reichweitenmessung, sozialen Netzwerken und Social-TV-Angeboten so aggregieren, dass die Fernsehbranche mehr über ihre Zuschauer erfährt. Statt um reine Reichweiten-Optimierung gehe es darum, Nutzer möglichst direkt individuell anzusprechen, lautete Leutigers These. Behavioral Targeting, also am Online-Verhalten ausgerichtete Werbung, könne dazu beitragen, dass Medienunternehmen direkt zu „Vertrieblern“ avancierten. TV-Programmanbieter müssten die Frage beantworten, wer was zu welcher Zeit auf welcher Plattform sehen wolle. Entsprechende Erkenntnisse erlaubten mehr Nähe zum Publikum und machten das Marketing zu einer Vorstufe des Vertriebs.

Rechnergestützte Auswertungsverfahren helfen das herauszufinden, was Programmierer ihnen als Handlungsanleitung vorgeben. Beim lpr-forum-medienzukunft wurde deutlich, wie wichtig es ist, die richtigen Fragen zu stellen und entsprechendes Material herauszufiltern. Zunächst langweilig anmutende Zahlen können dann der Schlüssel für neue Erkenntnisse sein. Davon profitiert auch der sogenannte Datenjournalismus. Werden die relevanten Zahlenreihen herausgefiltert und angemessen visualisiert, entstehen spannende journalistische Produkte. Marco Maas, geschäftsführender Gesellschafter von OpenDataCity, einer Agentur, die sich auf Datenjournalismus und Datenvisualisierung spezialisiert hat, präsentierte eine Reihe anfschaulicher Beispiele: Das Spektrum reichte von der Visualisierung eines Bewegungsprofiles, das anhand von Mobilfunk-Verbindungsdaten erstellt wurde, bis zum computergestützten Vergleich zwischen den Gesetzestext-Eingaben von EU-Politikern und den Papieren von Lobby-Organisationen.

Maas warnte auch vor den Grenzen des Machbaren: Grundsätzlich müssten Datensätze kritisch hinterfragt und Deutungen bei der Auswahl und Analyse von Daten als solche identifiziert werden. OpenDataCity hat bereits eine Reihe von Projekten realisiert, die beweisen, dass Zahlen und ihre Visualisierung häufig mehr aussagen können als spannende Reportagen. Geschäftsführer Maas verwies darauf, insbesondere Größenvergleiche könnten grafisch anschaulich visualisiert werden. Die Annahme aber, dass Zahlen objektiv seien und deshalb eine objektive Wahrheit vermittelten, sei falsch. Insofern müssten sich auch Datenjournalisten die Frage nach ihrer Rolle stellen: „Sind wir Aktivisten oder Journalisten?“

Noch bilden umfangreiche datenjournalistische Projekte in Deutschland die Ausnahme. Den meisten Redaktionen fehle es an Erfahrung im Umgang mit großen Datenmengen, berichtete der Journalist Lars-Marten Nagel. Statistische Auswertung mithilfe moderner Hard- und Software müsse trainiert werden. Viele Redaktionen seien allerdings den großen Datenmengen „hilflos ausgeliefert“. Nagel ist Mitglied im Investigativ-Team der „Welt“-Gruppe und hat die Erfahrung gemacht, dass die Politik „ja eigentlich keine Transparenz will“. So werde etwa die Auflistung von Parteispenden als PDF-Datei verschickt. Für eine kritische Auswertung der Zahlen müsse das im portablen Dokumentenformat gelieferte Zahlenmaterial erst einmal etwa in eine Excel-Datei umgewandelt werden. Für den Umgang mit dieser Software aber fehle es in fast allen Redaktionen an Kompetenz, urteilte Nagel.

Daten-Analyse kann zu mehr Transparenz beitragen. Zugleich aber müssen auch Datensammler selbst Transparenz über ihr Vorgehen herstellen. Während einer von Bettina Schmieding moderierten Experten-Diskussion wurde deutlich, dass spätestens seit Bekanntwerden des NSA-Skandals die öffentliche Akzeptanz der Big-Data-Revolution wesentlich davon abhängt, wie das Thema Datenschutz behandelt wird.

Kai Biermann, der bei Zeit Online für den Bereich Internet, Datenschutz und Netzpolitik zuständig ist, forderte am Ende der Veranstaltung, der Einzelne müsse mehr Kontrolle über die eigenen Daten erhalten. Außerdem gelte es, die „Macht statistischer Modelle“ zu begrenzen, um nicht die Kontrolle über das System Big Data zu verlieren. Andernfalls könne beispielsweise eine statistisch ermittelte Vorhersehbarkeit des eigenen Lebens die Freiheit des Menschen bedrohen. Biermanns Ausblick endete dennoch optimistisch: Schließlich würden viele verborgene Zusammenhänge erst aufgrund großer Datenmengen sichtbar. Während der Mensch gezwungen sei, Komplexität zu reduzieren, könnten Computer auch komplexere Strukturen offenlegen. Schließlich werde die Mathematik zur „Wissenschaft, die uns die Welt erklärt“.

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