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Fazit
Information für den digitalen Weltbürger
Prof. Dr. Klaus Dieter Altmeppen, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Der Weltbürger kommt heute aus Eichstätt. Falls Sie sich fragen, wo diese Metropole liegt: im beschaulichen Altmühltal, 25 km vor Ingolstadt. Ich bin der Rausschmeißer, insofern kann ich nur verlieren, ich halte Sie vom Empfang ab. Das hat den Vorteil, ich muss nicht höflich sein, ich darf polemisch sein, ich darf sarkastisch sein, das werde ich gern wahrnehmen.

Liebe Newssnacker, so bezeichnet die Mediennutzungsforschung diejenigen, die vor allem Nachrichten über die sozialen Medien empfangen. Ein schneller Nachrichtensnack, ganz so, wie Marco Maas gesagt hat. Morgens, wenn der Handywecker noch snoozt, schnell die drei Schlagzeilen im Halbschlaf gelesen, nicht richtig verstanden, aber tun wir sowieso nicht, wir wissen morgens eh nicht mehr, was die Tagesschau abends gesendet hat, aber das ist nicht so schlimm. Wir können uns verbrüdern, wir sind das Publikum, das jetzt aktiv wird, das zu Akteuren wird. Wir arbeiten am gemeinsamen Projekt, wir sind alle Journalistinnen und Journalisten, willkommen in der Welt. Und die ganze Welt ist eine Redaktion, wie schon John Hartley vor zehn, elf Jahren gesagt hat. Ich habe da so meine Zweifel, die ich gern an einzelnen Punkten aufspießen will.

Lieber Herr von Streit, lieber Herr Sachse, lieber Herr Maas – Männer und Technik, wieder ganz typisch, müssen wir nichts über Gender Mainstreaming sagen. Ich meine das jetzt ganz ernst, was ich sage: Innovieren Sie, experimentieren Sie, seien Sie erfolgreich, ich wünsche Ihnen das wirklich von Herzen, nur bitte und das geht jetzt auch ein bisschen in deine Richtung, Bernhard Pörksen, hören Sie auf zu behaupten, das Publikum sei der neue Souverän und hören Sie auf zu behaupten, Sie würden den besseren Journalismus machen. In Ihrem eigenen Sinne, denn Sie sollten nicht weiter die Glaubwürdigkeit des Berufsstandes in Zweifel ziehen, an dem ja Ihr Herzblut hängt, wie Ihre Vorträge alle gezeigt haben.
Die Macht des Publikums ist kein Alien, das ist kein unbekanntes Objekt, was über uns kommt: Die Agenda-Setting-Theorie ist eine der am meisten bestätigten in der Kommunikationswissenschaft. Es gibt immer schon drei Agenden – eine Medienagenda, eine politische Agenda und eine Publikumsagenda. Was wir mit der „digitalen Moderne“ erleben, ist einfach nur, dass wir diese Publikumsagenda sehr viel schneller erkennen können. Das ist das, was vor allem die Internetkonzerne machen wollen, weil sich damit Geld machen lässt.

Aus dieser Publikumsagenda ergibt sich durchaus eine neue Macht, es ist vor allem die Macht der Banalisierung. Im Februar bei Google: Udo Jürgens – 9,6 Millionen Einträge. Kathrin Oertel, Sie erinnern sich – Pegida, vielleicht erinnern Sie sich auch schon nicht mehr, ist ja im Abflauen – nicht mal zehn Prozent davon, 900.000 Einträge. Das ist die Macht der Banalisierung, und es ist nicht die Macht der Medien. Nur weil wir Google und Facebook zu Medien erklären, sind es nicht gleich Medien im Sinne journalistischer Berichterstattung, wie wir das verstehen, sondern es ist die Macht digitaler Distributionsplattformen, die vor allem Vernetzung betreiben und damit die Macht einer großen Menge haben, massenkommunikative Macht. Facebook ist so etwas wie das digitale Viagra, immer, wenn ich öffentliche Erregung haben möchte, gehe ich auf Facebook und kann versuchen, sie dort zu stimulieren.

Wenn das Publikum eine „fünfte Gewalt“ ist, woran ich gar nicht so schnell zweifeln würde, lieber Bernhard, hätte ich gern den Journalismus weiterhin als „vierte Gewalt“, der die drei bekannten Gewalten und diese „fünfte Gewalt“ in ihrer Macht hinterfragt, der sie kontrolliert, der mir sagt, wer ist das eigentlich, der dort diese Viagra-Funktion nutzt, der dort öffentliche Erregung fabriziert. Denn letztlich ist es nur ein Technologiepush, der durch den Ökonomiepull weiter getrieben wird. Und ich bin überzeugt davon – und bitte nehmen Sie mir die nächste Äußerung nicht übel, so wie dem AfD-Chef aus Hamburg, der sich unglücklich ausgedrückt hat: Ein zweites 9/11 oder spätestens, wenn Putin in Polen einmarschiert, wird der Blogger, der in einem Beitrag zuvor gezeigt wurde, Heftig.CO, in der Bedeutungslosigkeit versinken. Alle werden dorthin gehen, wo sie die vertraulichen, die vertrauten und die gewohnten Informationen bekommen werden: zu den traditionellen Medien. Denn das scheint mir das Problem zu sein: die Missstände, die es im Journalismus ohne Frage gibt, sollen jetzt mit den Möglichkeiten des Internets der Dinge, des Digitalen und damit vor allem durch das Publikum behandelt und geheilt werden.

Ich finde, das liegt auf verschiedenen Ebenen, das mutet so an, als wenn ich nach einer durchzechten Nacht morgens in den Spiegel schaue, also nicht in den gedruckten, sondern in den, der mir die Wahrheit liefert und feststelle, oh Gott, dieses Gesicht muss ich unbedingt gerade ziehen und die Therapie ist dann, ich schmeiß‘ den Spiegel kaputt. Das wird uns nicht helfen, ich bin dafür, dass wir die Missstände im Journalismus erkennen, und dass wir sie benennen. Ich halte das Publikum nicht gerade für den Missstand im Journalismus. Missstand ist eher zum Teil diese marottenhafte Wichtigtuerei, die wir dort finden. Vielmehr aber ist es die Rationalisierung, die dafür sorgt, dass der Journalismus seinen Aufgaben gar nicht mehr so nachkommen kann, wie er es sollte. Ich beziehe das immer auf alle Formen des Journalismus und insbesondere auf den Lokaljournalismus. Wir neigen dazu, sehr stark über Bild, Süddeutsche, Zeit und Tagesschau zu sprechen, das ist aber nur ein sehr kleiner Teil des Publikums, der damit erreicht wird. Das ist eine Anmerkung.

Eine zweite Anmerkung: Journalismus und Technik, ob es Fotosatz war, ob es Online-Journalismus war, ist immer als Werkzeug, als Instrument bezeichnet worden und, Frau Gruhnwald, Sie haben das heute auch wieder gemacht mit dem Datenjournalismus. Das sei ja wie mit dem Telefon. Nein, Roboterjournalismus, Drohnenjournalismus, Datenjournalismus, Sensorjournalismus – das nur als Werkzeug zu bezeichnen, finde ich, ist eine Verharmlosung. Und zwar eine unzulässige Verharmlosung. Diese Techniken sind weder gut noch böse, aber sie werden in einem Aneignungsprozess in den jeweiligen Redaktionen oder auch irgendwo ganz anders – Drohnen, Roboter finden wir ja überall – angewendet. Und dieser Aneignungsprozess heißt nichts anderes als: da stehen Interessen dahinter.

Algorithmen haben keine Moral, und Roboter übernehmen keine Verantwortung. Also muss ich danach fragen, wer dahinter steht. Wer macht eigentlich was damit? Wer sind die Menschen, die Gruppen, die Institutionen, die diese Werkzeuge einsetzen? Da sollten wir die Wirktiefe nicht außer Acht lassen, nicht gedankenlos sagen, das seien ja nichts weiter als Werkzeuge. Der Fotosatz ist auch nur als Werkzeug bezeichnet worden, er hat eine Menge verändert. Das sollten wir uns ins Gedächtnis rufen. Das ist die eine Seite von digital und Journalismus, die andere Seite ist die, dass Journalismus mittlerweile selbst eine Sozialtechnologie ist – eine Sozialtechnologie zur Erstellung von Inhalten und damit natürlich im Fokus der Internetkonzerne steht. Denn sie brauchen diese Inhalte. Es ist doch bezeichnend, dass sowohl Yahoo wie Google vor Jahren versucht haben, Newsredaktionen aufzubauen, beide sind gescheitert, weil beide feststellen mussten, Journalismus ist eine soziale Praxis, die nicht einfach kopierbar ist. Da gehört mehr dazu als nur zu wissen, wie recherchiere ich und wie präsentiere ich. Aber die Inhalte brauchen sie. Yahoo, Google, Facebook, Twitter haben heute den Weg gefunden zu Inhalten, sie sagen, wir präsentieren diese Sozialtechnologie Journalismus auf unseren Seiten, wir werden als Distributeure auch ganz schnell Medienunternehmen, das ist ja wunderbar.

Daraus zu folgern, Journalismus werde unwichtiger, halte ich auch für einen Fehlschluss, nicht nur weil spätestens in Krisenzeiten wir etwas anderes merken. Journalismus war immer unwichtig. Journalismus gilt als meritorisches Gut. Meritorische Güter sind diejenigen, die gesellschaftlich hoch wünschenswert sind, die der Markt oder die Unternehmen aber nicht in dem Maße bereitstellen, wie das gewünscht wird. Insofern ist der Journalismus immer unter Wert betrachtet worden. Also, wir sollten jetzt nicht plötzlich von wichtig oder unwichtig sprechen, wenn wir ihn in analogen Zeiten auch nicht geschätzt haben.

Meine Herren, ich komme noch mal auf Sie zurück, auf ein paar Sachen, die ich aufgespießt habe. Herr von Streit, Sie haben gesagt: Krautreporter machen eine andere Art von Journalismus. Mit Verlaub, das ist doch Quatsch. Sie machen eine andere Art von Finanzierung. Aber all das, was Sie berichtet haben, was Sie ganz richtig gesagt haben, worin ich Sie in allem unterstütze, ist klassischer Journalismus. Nur die Finanzierung ist eine andere. Ergo haben Sie auch eine andere Art von Abhängigkeit, Organisationen sind immer geldabhängig. Insofern gibt es immer Abhängigkeiten. Das kann ein Verleger sein, das kann ein Verlagsmanagement sein, das kann ein CEO sein. Sind die von vornherein alle schlechter oder besser als ein Mäzen? Ich weiß es nicht, das müsste man empirisch untersuchen. Jedenfalls würde ich da ein kleines Veto setzen. In der Sache stimme ich Ihnen zu, in der Schlussfolgerung sehe ich das etwas anders.

Herr Maas, der Satz: „Was kann man über Menschen herausfinden?“ Ja, waren Sie einmal bei der NSA? Die wollen das nämlich auch machen, genau das Gleiche. Ich war schwer beeindruckt von dem, was Sie machen. Ich habe jetzt auch gelesen, die neuen Fernseher – früher hieß es immer „Winken, der Moderator sieht dich!“ –, schauen in mein Wohnzimmer. Ich kann nun tatsächlich winken und sagen, „Hallo Jörg (Pilawa), hier bin ich, dein Zuschauer, dein Publikum“. Herr Pilawa sieht mich. Mein ältester Sohn lebt in Peking, ich kann ihm über eine App folgen, wenn er Sport treibt, mit dem Fahrrad und zu Fuß. Aber eigentIich will ich das gar nicht wissen. Ich sehe dann nämlich auch, wenn er seine Helmkamera trägt, wie der Smog da ist. Dann schaue ich auf eine andere App, die teilt mir mit: Feinstaubkonzentration 500 mμ. Nur zum Vergleich, München sagt, bei 180 mμ machen wir die Stadt zu. In Peking ist das ganz normal. Ich will das gar nicht alles wissen.

Das ist dieses quantified self, wenn ich will, werde ich komplett vermessen. Aber auch da gilt wieder, wie vorhin schon gesagt, die Technik ist faszinierend. Da stimme ich Ihnen, meine Herren, zu, und ich kann Ihnen auch nur aus ganzem Herzen sagen und ich meine es völlig ernst: Machen Sie weiter auf Ihrem Weg, ich finde das wichtig. Die Frage ist nur, wer steckt hinter den Technologien, zu welchem Wohle machen die das?

Sylke Gruhnwald, Sie haben unglaublich gute Beispiele gebracht für das, was Journalismus mit Hilfe „dieser Werkzeuge“ leisten sollte. Das Gleiche können aber natürlich auch rechte Zeitschriften oder rechte Gruppierungen machen, Islamisten, wer auch immer. Es kommt wiederum darauf an, wie verläuft die soziale Aneignung, wer sind diejenigen, die das benutzen und wo kann ich die verorten? Wo ist die Moral? Und wo ist die Verantwortung? Und da bin ich wieder beim guten alten Journalismus und sage, da kann ich es noch. Bei Facebook zum Beispiel nicht – der Branchendienst Meedia hat mir mitgeteilt, Facebook habe eine neue Chefin für Deutschland, Österreich, Schweiz, Marianne Dölz. Meedia hat mir auch mitgeteilt, Facebook sei in Hamburg in die Caffamachereihe umgezogen. Ich sage das hier, weil man es nicht raus finden kann. Ich habe Frau Dölz angeschrieben, wir organisieren gerade eine Jahrestagung und ich würde Frau Dölz gern für ein Worldcafé gewinnen. Ich habe sie, wie alle anderen, auf postalischem Weg angeschrieben.

Wie bei allen anderen steht in dem Brief: „Liebe Frau Dölz, ich werde mich in den nächsten Tagen telefonisch melden“. Sie ahnen die Pointe, ich muss Frau Dölz entweder über XING oder über Facebook selber liken oder anschreiben, ich habe keine Daten, und ich bekomme auch keine Daten. Das Telefonbuch sagt mir nicht, wie die Zentrale von Facebook in Hamburg zu erreichen ist. Leute, die mit sozialen Mechanismen umgehen, die für mich, für meine Informationsbedürfnisse wichtig sind, sind nicht erreichbar. Nein, vertrauen kann ich nicht. Transparenz wird nicht hergestellt, ich habe keine Erfahrung mit diesem Laden, außer dass es in der Regel schlechte sind. Da habe ich ein Problem.

Und jetzt komme ich, Herr Sachse, zu Ihnen zurück: „Jeder kann ein Journalist sein“. Ja, ich freue mich schon darauf, wenn der erste Lehrer, dessen Bank sein Schiffsinvestment vor die Spundwand gefahren hat, einen denunziatorischen Rachefeldzug mit CORRECTI!V macht. Ich hoffe, das wird so nie eintreten, aber sorry, „jeder ist ein Journalist“, mit dieser Behauptung – ich habe mit Ihrem Kollegen schon beim Netzwerk Medienethik das Gleiche diskutiert – zerstören Sie die Grundlagen des Journalismus. Wenn Sie einfach sagen, jeder könne das, wenn er nur ein bisschen Erfahrung und ein bisschen Bildung habe – Bildung finde ich schon diskriminierend – dann muss ich einfach sagen: NEIN.

Das wird und das kann so nicht passieren, denn wie Google und Yahoo festgestellt haben, man kann nicht einfach eine Newsredaktion aufbauen, man kann nicht einfach Journalismus kopieren. So beschädigen Sie das, was Journalismus braucht, nämlich Reputation. Und bitte, Reputation ist nicht nur etwas, das man nehmen kann, sondern etwas, das Sie geben, wenn Sie recherchieren. Da darf, Entschuldigung, ich komme vom Lande, ich darf das sagen, nicht jeder Bauerntölpel hingehen und sagen, ich bin Journalist, ich will jetzt hier mal recherchieren. Ich möchte nicht wissen, wie anschließend die Journalisten behandelt werden, denen tatsächlich an einem Problem gelegen ist, das gesellschaftsweit relevant ist. Sie zerstören diese sozialen Mechanismen, Sie zerstören die kulturellen Grundlagen des Journalismus, wenn Sie einfach behaupten, jeder könne Journalist sein. Da haben wir in der Tat einen heftigen Widerspruch, den wir aber gern weiter diskutieren können, denn ich habe nicht die Wahrheit gepachtet, ich behaupte nicht, dass das richtig ist. Aber ich will einen Kontrapunkt setzen zu dem, was Sie hier gesagt haben.

Die digitale Moderne und der Journalismus: Ich finde, Bernhard Pörksen hat deutlich aufgezeigt, dass in der sogenannten Zivilgesellschaft unter der Oberfläche erhebliche zivilisatorische Mängel herrschen, was Humanität, Respekt, Menschenwürde und Diversität angeht. Ich stimme Dir zu, Bernhard, Bildung ist ein wichtiger Faktor dagegen anzugehen. Ich hätte aber gern den alten, den guten Journalismus, den organisierten Journalismus, so wie ich ihn kenne und ich hätte gern diese neuen Ideen dazu, die diesem alten Journalismus in den Hintern treten, das zu machen. Und ich hätte gern ein Publikum, das den Wert dessen, was Journalismus für die Gesellschaft darstellt, zu schätzen weiß, und zwar auch monetär, es ist nämlich teuer, diesen Berufsstand auszuüben. Das werden Sie, die Sie diese anderen Formen der Finanzierung suchen, sehr viel besser noch wissen als die immer noch renditeträchtigen Medienunternehmen. Journalismus ist vor allem teuer, er sollte uns aber auch wertvoll sein in dem Bewusstsein und der Qualität, die er für die Gesellschaft liefert.