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Erkundungen im journalistischen Neuland
Beispiel 1: Wenn die Community zählt und zahlt
Alexander von Streit Mitbegründer und Chefredakteur von Krautreporter

Unsere Medienöffentlichkeit ist geteilt. Hier die Journalisten, dort das Publikum. Doch wie kann diese Kluft geschlossen werden? Krautreporter ist ein Experiment, das genau das versucht. Dazu möchte ich Sie an einen Ort führen, den einige von Ihnen vielleicht kennen. Es ist der Journalistenclub im Hochhaus der Axel Springer AG in Berlin. Dieser Ort ist im weitesten Sinn ein Symbol dafür, wie wir Journalismus immer gedacht haben, wie sich Journalismus früher angefühlt hat. Ein geschlossener Club, in dem wir entspannt sitzen und uns über unsere Themen austauschen. Es ist ein Ort, an dem der Leser, das Publikum nicht vorkommt. Das war früher auch nicht nötig. Wir Journalisten haben Geschichten recherchiert, aufgeschrieben und veröffentlicht. Die Printprodukte wurden gekauft, und die Verlage haben gut damit verdient. So lange das alles so war, gab es nur wenige Gründe, das zu ändern. Doch die Situation hat sich dramatisch gewandelt. Die Leser sind nicht mehr bereit, diese Produkte einfach nur zu kaufen und unsere journalistische Arbeit zu konsumieren.

Es hat sich etwas verändert da draußen. Durch die Digitalisierung ist eine komplett neue Welt entstanden. Es gibt nicht mehr die eine Medienlandschaft mit einzelnen Marken, sondern eine fast komplett atomisierte Kommunikationsgesellschaft. Und die Medienindustrie, die Verlage, die Journalisten sind den Entwicklungen dieser neuen Welt gefolgt, ohne dabei die Gültigkeit traditioneller Strukturen zu überdenken. Wir sind stattdessen im digitalen Raum mit unseren alten Geschäftsmodellen in ein Wettrennen eingetreten: Im Online-Journalismus setzen wir in der Regel auf die Finanzierung durch Werbung, wollen also möglichst große Reichweiten erzielen, um diese durch Anzeigen zu finanzieren. Das ist zunächst nichts Schlimmes, aber es hat eine bestimmte Art von Journalismus zur Folge. Nämlich einen, der besonders schnell sein muss, der versucht, sehr viel Aufmerksamkeit zu generieren und der günstig zu erzeugen ist, weil die Refinanzierung durch das Anzeigen-Modell nicht ausreicht.

Geht etwas dabei verloren? Haben wir ein Qualitätsproblem? Wie können wir das ändern? Dieser Gedanke hat mich in den vergangenen Jahren zunehmend umgetrieben. Und am Ende kam ich zu dem Schluss, dass ich bei mir selbst anfangen muss, weil die Verlage von sich aus dazu nicht in der Lage sein werden. Sie sind gefangen in ihrem Geschäftsmodell und an vielen Stellen immer noch gefangen in der Vorstellung eines analogen Journalismus, die einfach in den digitalen Raum übertragen wird. Zwar gibt es auch dort einige spannende Versuche, neue Wege zu gehen. Trotzdem werden Innovationen in einem Verlag durch viele Dinge begrenzt, die keine Rolle spielen, wenn man selbst etwas macht.

Im Sommer 2013 rief mich Sebastian Esser an, Gründer des damals noch als Crowdfunding-Plattform konzipierten Krautreporter-Portals. Er erzählte mir von seiner Idee, die sich stark mit meinen Gedanken überschnitt: Wir machen ein Journalismusprojekt, wir schaffen einen neuen Ort im Online-Bereich, in dem eine andere Art von Journalismus möglich sein wird. Einer, der nicht durch Werbung, sondern durch seine Mitglieder finanziert ist – und dadurch die Rahmenbedingungen aushebelt, die ein reichweiten- und werbefinanzierter Journalismus zur Folge hat. Und das Besondere: Wir machen das mit Crowdfunding. Im Mai 2014 begann die Kampagne, 25 Journalistinnen und Journalisten, drei Gründer. Das Ziel war, in einem Monat 15.000 Menschen finden, die bereit sind, uns ein Jahr lang fünf Euro pro Monat, also 60 Euro pro Jahr, zu zahlen, um das Projekt zu ermöglichen. Es war ein Krimi. Lange Zeit sah es nicht danach aus, als ob wir es schaffen würden. Doch nach einem Monat hatten wir über 16.000 Mitglieder, bis heute ist die Zahl auf rund 18.000 gestiegen.

Bei der Idee von Krautreporter geht es nicht darum, einen Journalismus zu machen, der Angebote wie Spiegel Online, sueddeutsche.de oder Zeit Online ersetzt. Wir wollen etwas hinzufügen. Einen Ort für ausgeruhten Journalismus, der es sich leisten kann, Themen zu behandeln, die an anderer Stelle aus Effizienzgründen nicht behandelt werden können. Wir wollten einen Ort schaffen, an dem wir auch unpopuläre Geschichten kontinuierlich verfolgen können. In vielen Redaktionen ist das ein Ausschlusskriterium – wenn man zweimal über so eine Sache geschrieben hat, dann reicht das in der Regel. Manche Themen brauchen aber einen längeren Atem, man muss dranbleiben, und diese Umgebung wollten wir schaffen. Krautreporter ist auch nicht der Ort, an dem die großen Leitartikel stehen. Wir wollen Geschichten von den Rändern bringen, Geschichten hinter den Nachrichten, den anderen Blick auf die Dinge. Das Großartige ist, dass über 18.000 Unterstützer ebenfalls der Meinung sind, dass es diesen Ort braucht.

Krautreporter ist jetzt seit einem knappen halben Jahr im Live-Betrieb, wir haben Mitte Oktober 2014 die ersten Geschichten online eingestellt und seitdem rund 300 Geschichten veröffentlicht. Wir haben sehr viel gelernt und wir wurden durch unsere Mitglieder, aber auch durch alle anderen, durch die ganze Branche intensiv und auch sehr kontrovers begleitet. Und das hält auch weiter an. Es ist ein sehr spannender Prozess.

Ich möchte Ihnen etwas zeigen, das mir neulich auffiel. Ich habe viele Jahre über Technologie geschrieben und was Sie hier sehen, ist ein Modell der Gartner-Unternehmensberatung. Gartner hat ein Hype-Modell entwickelt, das neue Technologien durchlaufen. Und ich glaube, dass es dabei einige Analogien zu dem gibt, was wir gerade als Krautreporter erleben. Die Idee hinter diesem Hype-Modell ist, dass nach der Ankündigung einer vielversprechenden und zukunftsorientierten Technologie eine Aufmerksamkeitskurve steil nach oben geht. Sie wird durch die Erwartungen geschürt, die viele Leute in diese Technologie setzen. Ab einem bestimmten Moment kippt das, weil plötzlich deutlich wird, dass die überzogenen Erwartungen gar nicht alle erfüllt werden können und vor allem nicht so schnell. Die Kurve dreht nach unten in das „Tal der Enttäuschungen“, das ist die Erdung, alle überzogenen Erwartungen sind heraus aus dem Projekt. Als nächstes folgt der „Pfad der Erleuchtung“, das klingt etwas pathetisch, aber es geht dann wieder aufwärts. Dann gleicht sich das, was die Anbieter, zum Beispiel wir als Krautreporter, und was der Konsument erwartet, wieder an. Wenn man diesen Punkt erreicht, kommt man zum „Plateau der Produktivität“. Ab dann ist man auf dem Weg, dass es richtig vorangeht.

Ich denke, dass wir Krautreporter gerade am Ausgang aus dem „Tal der Enttäuschungen“ sind. Das liegt einfach daran, dass unsere Mitglieder uns einen riesigen Vertrauensvorschuss gegeben haben, als sie in eine Idee investierten, die relativ weit gefasst war. Und 18.000 Mitglieder heißt: 18.000 verschiedene Erwartungen an uns. Es ist absolut klar, dass wir diese vielfältigen Erwartungen nie alle erfüllen können. Wir wurden während unserer Kampagne und zu unserem Start von wirklich fast allen Publikationen mit Berichterstattung begleitet. Und es ging darin meist darum, ob wir den Journalismus retten werden. Das ist eine unglaublich große Erwartungshaltung, aber auch ein unglaublich großer Vertrauensvorschuss. Retten können wir den Journalismus natürlich nicht. Wir arbeiten aber daran, einen Journalismus zu machen, der das Vertrauen seiner Mitglieder verdient.

Was ist das für ein Journalismus? Ist das ein Journalismus für die Community? Auch da haben wir gemerkt, dass es sehr unterschiedliche Erwartungen an uns gibt. Ist es ein Journalismus, den unsere Mitglieder bestimmen können? Können unsere Mitglieder darüber entscheiden, worüber wir schreiben? Können sie darüber entscheiden, wie wir schreiben? Können sie sagen, wer schreiben soll? Manche wollen das. Das alles trifft auf einen anderen Teil der Community, der einfach nur will, dass wir schreiben oder Filme machen. So befinden wir uns gerade in einem Prozess, in dem auch die Community untereinander auszuloten versucht, was die gemeinsame Erwartungshaltung an uns ist. Klar ist, dass wir einen Journalismus machen, der unsere Mitglieder einbezieht. Wir sind eine Community, die Journalismus möglich macht – gemeinsam.

Und das ist tatsächlich das Zusammenführen des Publikums mit uns Journalisten. Ich glaube, dass diesen Weg zwar nicht alle Medien in der Zukunft gehen werden, aber eigentlich gehen müssten, weil es gar nicht mehr anders geht.

Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel nennen, wie Journalismus bei uns aussieht. Wir machen unterschiedliche Sachen: Klassische Reportagen über Themen, von denen man sonst nicht so viel liest; wir haben mit Daten experimentiert, eine Graphic Novel entwickelt, aber das Folgende ist etwas, das mich selbst sehr elektrisiert, weil es wirklich etwas Neues ist. Einer unserer Autoren, Rico Grimm, plante ein Interview mit Thilo Kayser, einem deutschen Ingenieur und ehemaligen Geschäftspartner von Wernher von Braun, der seit Jahrzehnten in der Raketentechnologie arbeitet. Er ist so etwas wie ein Begründer der privaten Raumfahrttechnologie. Der konkrete Anlass für diese Geschichte war eine Ausschreibung der ESA für ein Raketenkonzept. Dort hat sich auch Kayser beworben, und wir wollten ihn die Woche vorher mit Interviews begleiten. Rico Grimm hatte mit ihm vereinbart, dass wir ihm Fragen schicken, die wir mit unserer Community besprechen. Es gab einen ersten Schwung Fragen, parallel dazu haben wir eine Arbeitsgruppe gebildet, die Raketen-AG. Rund 20 Krautreporter-Mitglieder, die Interesse hatten, ihr Know-how über Raketentechnologie einzubringen.

In der Diskussion mit Rico haben sie überlegt, welche Fragen man noch stellen müsste, was man noch verfeinern müsste, wo die Schwachstellen in der Argumentation von Thilo Kayser sind. Daraus entwickelte sich eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Gruppe recherchierte schließlich gemeinsam, durchwühlte das Netz nach Informationen über Thilo Kayser, stellte Querverbindungen her und übernahm so klassische journalistische Rechercheaufgaben – gemeinsam mit Rico Grimm, der parallel auch recherchiert hat. Plötzlich drehte sich die Geschichte, es kamen Fragen über Kaysers Verbindung zur Stasi auf, zu seinem Verhältnis zu Gaddafi und plötzlich wurde aus diesem Community-begleiteten Interview eine Crowd-Recherche, die das Thema vertieft und erweitert hat. Die AG und Rico Grimm arbeiten weiter und werden sich vermutlich in den nächsten zwölf Monaten noch damit beschäftigen. Auf Krautreporter werden wir die Ergebnisse veröffentlichen.

Darauf kommt es in der Zukunft an. Es geht nicht mehr um Journalismus für ein Publikum. Wir beginnen an immer mehr Stellen, Journalismus mit dem Publikum zu machen. Ich glaube, dass wir dadurch das zusammenfügen können, was sich atomisiert hat, und so die Kluft in der Medienöffentlichkeit überwinden. Wir müssen mit unserem Publikum nicht nur auf Augenhöhe kommunizieren, wir müssen unsere Nutzer als Teil des gesamten Informations- und Kommunikationsprozesses verstehen, indem wir als Journalisten in Zukunft selbst eine komplett andere Rolle einnehmen werden. Krautreporter ist ein Versuch, das zu machen. Es wird nicht der letzte sein.