Archiv 2018 "Die Plattform-Demokratie"
Pressemitteilung
Wie soziale Online-Netzwerke digital die Demokratie bedrohen
lpr-forum-medienzukunft 2018
zum Thema „Die Plattform-Demokratie“ am 1. März in Frankfurt
Frankfurt am Main, 1. März 2018. Soziale Online-Netzwerke und Internetplattformen prägen zunehmend die Informations- und Kommunikationsstrukturen einer digitalen Gesellschaft, die durch Aufmerksamkeitsökonomie, Fragmentierung und Disruption geprägt wird. Google und Facebook, Amazon, Apple und Microsoft entscheiden darüber, wer wann was von wem erfährt. Sie kuratieren und vernetzen, sie selektieren, filtern und vermitteln Inhalte, können Öffentlichkeit herstellen, aber auch als Multiplikatoren für Desinformation missbraucht werden. Längst haben sich die digitalen Plattformen für viele zur unverzichtbaren Infrastruktur der Informationsgesellschaft entwickelt. Was aber bedeutet das alles für den demokratischen Diskurs und das Postulat der Meinungsvielfalt in einer pluralistischen Gesellschaft? Leben wir bereits in einer „Plattform-Demokratie“, bei der die öffentliche Meinung von Algorithmen sogenannter Informationsintermediäre präformiert oder gar entscheidend geprägt wird? Mit diesen Fragen setzten sich am 1. März beim 9. lpr-forum medien-zukunft in Frankfurt Expertinnen und Experten aus den Bereichen Politik, Journalismus und Wis-senschaft auseinander. Etwa 200 Tagungsteilnehmer verfolgten in der Evangelischen Akademie Frankfurt Vorträge und Debatten zum Thema „Die Plattform-Demokratie. Über gesellschaftliche Brüche, veränderte Kommunikation, disruptive Technologie“.
Der Direktor der LPR Hessen, Joachim Becker, betonte zum Auftakt, die Algorithmen der großen Online-Konzerne aus den USA bestimmten, was eine Gesellschaft über sich wisse und wie sie sich definiere. Wenn digitale Plattformen Informationen organisierten, strukturierten und kanalisierten, könnten keine offenen Kommunikationsräume des gleichberechtigten Diskurses und Austausches entstehen. Digitale Plattformen seien nämlich keine neutralen Vermittler, sondern steuerten, regelten und entschieden, wer was worüber erfahre. „Ihre Macht geht weit über ihre marktbeherrschende Position hinaus“, warnte Joachim Becker vor der Dominanz von Google oder Facebook. Algorithmische Informationsfilter sowie auf Reichweitenmaximierung optimierte Geschäftsmodelle „strukturieren und kanalisieren das Verhalten ihrer Nutzer, individuell wie kollektiv“, analysierte der LPR-Direktor. Das Oligopol von Google, Facebook, Microsoft, Amazon und Apple bewirke „vermachtete Strukturen“ und soziotechnische Ökosysteme, aus denen es so „gut wie kein Entkommen mehr“ gebe. In der Folge stehe der gesellschaftliche Zusammenhang auf dem Spiel. Wenn Wirk-lichkeit verzerrt werde oder Desinformation Fakten ersetze, drohe ein Vertrauensverlust, der Demokratie zerstören könne, prognostizierte Joachim Becker.
Wie digitale Plattformen die liberale Demokratie verändern, erläuterte Gary S. Schaal. Der Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg argumentierte, die Digitalisierung bewirke einen Kulturwandel, der Singularisierung fördere. Statt Vernunft herrsche das Vordergründige, Affekte und Emotionen versprächen Authentizität. Das Ergebnis seien „eine Performanz-Inszenierung in Permanenz“ und eine „Fiktion der Einmaligkeit“. Die private Autonomie aber nehme angesichts von Big Data und Informationskapitalismus in der Post-Privacy-Ära nur scheinbar zu. Die Fragmentierung der Gesellschaft führe zur Auflösung eines demokrati-schen „Wir“. Gesellschaftliche Solidarität erodiere und demokratische Politik verliere an Legitimation, lautete die Diagnose des Politikwissenschaftlers. Gary S. Schaal plädierte für eine „Aufklärung 2.0“ und eine bessere Nutzung digitaler Plattformen innerhalb demokratischer Governance-Strukturen, um die Demokratie widerstandsfähiger zu machen.
Mit dem Problem der drohenden Desinformation in einer digitalen Gesellschaft beschäftigt sich auch Stephan Russ-Mohl. Der Professor für Journalistik und Medienmanagement der Università della Svizzera italiana in Lugano machte auf zwei zentrale Trends aufmerksam: Einerseits gerate der Journalismus in eine immer größere Abhängigkeit von Public-Relations-Inhalten. Andererseits entstehe durch die großen Online-Konzerne eine „Desinformations-Ökonomie“, die keineswegs geeignet sei, publizistische Qualität zu gewährleisten. Die digitale Kommunikation werde zuneh-mend durch Quellen wie PR-Agenten, Blogger, Trolle oder Algorithmen geprägt, die nicht journalistischen Standards entsprächen, sagte der Kommunikationswissenschaftler. Hinzu komme, dass sich etwa bei Facebook Falschmeldungen schneller verbreiteten als „sauber recherchierte, wahre Fakten“. Stephan Russ-Mohl sprach von „unsozialen Online-Netzwerken“. Die Glaubwürdig-keitskrise von Journalismus und Politik sei unter anderem ausgelöst durch Verschwörungstheorien, Populismus und Propaganda. Verschärfend hinzu kämen Fake News und Social Bots. Der Journalistik-Professor verwies auf Ergebnisse einer Studie des Oxford Internet-Instituts: Ein halbes Prozent aller Nutzerkonten produziere demnach fast ein Viertel aller Meldungen. Das zeige, wie ge-fährlich Algorithmen Kommunikationsprozesse verzerren könnten.
Auf die Frage, wie sich öffentliche Kommunikation verändern müsse, um gesellschaftliche Diskurse auf Online-Plattformen transparent, plural und chancengleich so zu gestalten, dass Wirklichkeit und öffentliche Meinung nicht durch Desinformation verzerrt dargestellt werden, plädierten die Experten beim neunten lpr-forum-medienzukunft vor allem für eine Allianz aus Forschung und Journalismus. Gary S. Schaal forderte zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte auf. Noch sei die aktuelle De-mokratie-Diskussion im Zusammenhang mit dem Thema Digitalisierung „zu technologiegetrieben“. Ähnlich urteilte auch Stephan Russ-Mohl. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bezeichnete er als „untauglich“. Harald Hammann, Abteilungsleiter für den Bereich Medien/Digitales der Staatkanzlei Rheinland-Pfalz, sagte, er sehe das seit Januar geltende Gesetz „durchaus kritisch“, und empfahl, es müsse „dringend evaluiert“ werden. Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht der Technischen Universität Dortmund, vertrat die Meinung, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bewirke mit dem „Prinzip der Rasenmäher-Methode“, dass online vieles von Plattformbetreibern aus Furcht vor Ordnungswidrigkeiten gelöscht werde, das in der Offline-Welt völlig unbeanstandet bleiben würde.
Während Technologie und Ökonomie die digitalen Transformationsprozesse beschleunigen, stehen Aufklärung, Medienkompetenz und Reflexion in der digitalen demokratischen Gesellschaft erst ganz am Anfang. Der Digitalexperte und Netzpolitiker Malte Spitz (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete es als „Generationen-Aufgabe“, den souveränen Umgang mit sozialen Online-Netzwerken, deren Einfluss „fast staatsmächtig“ sei, zu lernen. Werner D’Inka, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, appellierte in dem Zusammenhang an die „kommunikative Fairness“ aller Akteure. So müsse etwa darüber nachgedacht werden, ob sich nicht alle, die online etwas veröffentlichten, an die professionellen Standards halten müssten, wie sie für den klassischen Journalismus gelten.
Matthias Kurp
Matthias Kurp ist Professor an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln
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Weitere Informationen unter www.lpr-forum-medienzukunft.de